Die Autobahn zwischen Biarritz und Narbonne heißt bezeichnender Weise „Entre deux Mers“, da sie den Atlantik mit dem Mittelmeer verbindet. Wer sich die Landkarte genauer anschaut, sieht, dass der Landkorridor zwischen Atlantik und Mittelmeer entlang der Pyrinäengrenze nur um die 500 km breit ist. Der Kenner kennt „Entre deux Mers“ allerdings als Bordeauxwein, beides ist nützlich, nur zusammen kann es gefährlich werden. Im Vergleich dazu beträgt die Distanz der gesamten Mittelmeerküste von der spanischen bis zur italienischen Grenze rund 530 km, aber die gesamte Atlantikküste beträgt mehr als 1800 km. Dabei habe ich die Autobahnkilometer zwischen Perpignan und Biarritz sowie zwischen Biarritz, Brest, Cherbourg und Dunkerke als Berechnungsgrundlage zu Hilfe genommen. Die genauen Zahlen kann sich jeder in einem geografischen Lexikon besorgen. Frankreich verfügt also für den Autofahrer, der die Küsten in Augenschein nehmen will (ohne Korsika, Ile d´Oleron, Ile Noirmoutier und Ouessant) über mehr als 3000 Kilometer Autobahn an der Küste. Insgesamt schätze ich, dass es mit allen Buchten und Deltas mehr als 5000 Kilometer umfasst. Jetzt schaue ich lieber nach, um keinen Unsinn zu verbreiten. Wahrscheinlich wissen die Experten bei wikipedia und anderen Nachschlagewerken auch nicht die gesamte Länge, weil stets von ca. 5.500 Kilometer gesprochen wird. Die meisten Regionen habe ich in den letzten fünfzig Jahren tangiert, durchfahren oder besucht. Allerdings fehlen mir das Finistère in der Bretagne und Creuse bzw. Corrèze am westlichen Hang des Zentral Massivs.Wir sind auf unserer Winterreise in Beziers gelandet, weil wir um diese Zeit unsere Kompassnaddel auf Heizung, Küche und Stadtlage abstimmen. Und wir haben eine Bleibe gefunden, die alles hat, was für unsere bescheidenen Wünsche notwendig ist. Dazu später mehr.
Der Abstecher in die Berge am Fuße des Pic du Midi richtete sich ausschließlich auf Heizung bzw. Kamin und Höhenlage. Alles war da, nur übertölpelten die Temperaturen die Leistungskapazität der Heizung und der Kamin schien eher für unachtsame Notfallselbstmörder geeignet zu sein, auch wenn es einen ziemlich energischen Rauchmelder gab, der aber leider auch bei der geringsten Qualmentwicklung zu jaulen begann. Über das Haus können wir uns nicht beschweren, denn es war mit allem ausgestattet, was ein Mensch für seine Ferien braucht und ist für alle, die es vorziehen, zu wandern oder am Felsen zu kraxeln, der ideale Ausgangsort. Allerdings gilt das nur für die Monate von April bis Oktober, denn rund um die Berge des Pic du Midi-Massivs gibt es genügend Wanderwege, die das Herz höher schlagen lassen. Die Biker mit Muskelkraft finden Trails in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden und wer gerne senkrecht am Seil die Höhenmeter überwindet, findet überall die notwendigen Felswände. Wer die Adresse haben möchte und im Sommer oder Herbst den Wanderfreuden frönen will, gebe ich gerne Auskunft. Der Proprietaire ist umgänglich, wenn man irgendwann seinen Gebirgsslang verstanden hat.
Beziers, wer kennt Beziers, natürlich außer den Einwohnern, Saisoniers du Soleil und anderen, die hier irgendeiner Arbeit nachgehen müssen. Diejenigen, die hin und wieder oder immer wieder Ferien an der Küste des Languedoc machen, sollten den kleinen Abstecher vom Strand in die sehr alte Stadt wagen, um das Leben und Treiben einer südwestfranzösischen Kleinstadt hautnah kennenzulernen. Valras-Plage, der Stadtstrand von Beziers liegt nur rund 13 km entfernt und ist auch für viele Deutsche ein beliebter Badeort während der Saison von April bis Ende Oktober. Vor genau 20 Jahren war ich im August in der Languedocstadt und habe nebenbei die berühmte Abtei Fontfroid nahe Narbonne aufgesucht und das Oppidum d´Enserune besichtigt. Besichtigen meint, dass dieses Oppidum eines der ältesten größeren Siedlungen aus der Zeit um 500-600 V.Chr. ist und man inzwischen ohne Besiedlung durch die Pampa läuft und nichts Aufschlussreiches entdeckt. Warum? Nun trohnte Enserune auf einem 650 Meter lang gestreckten Plateau auf 120 Meter Höhe.
Mein erster Eindruck von Capestang aus, das am Rande des Plateaus liegt, sah eher wie eine große runde Schüssel aus, die sich zum Mittelpunkt neigte. Aber das war ein Trugschluss, denn was ich sah, war die vor vielen Jahrhunderten trocken gelegte Lagune Etang de Montady. Diese Senke mitten in der Landschaft scheint auf den ersten Blick ziemlich kreisrund zu sein, ist geometrisch wie das Rad eines hölzernen Wagens gegliedert und in der Mitte enden alle Speichen im Redondel, wo sich das herunterfließende Wasser sammelt. Das gesamte Terrain misst 430 ha. Land und wurde laut Altertumsforschern auf die Zeit Henry Quatres datiert. Weiterhin gibt es Unterlagen, die belegen, dass dieses einzigartige agrikulturelle Gebilde über die Epochen von vielen verschiedenen Bauern landwirtschaftlich genutzt wurde. Unterhalb des Redondel hat man einen Aquädukt gefunden. Die Via Domitia, eine der wichtigsten Handels- und Heerstraßen der Römer, führt unmittelbar am Oppidum d ́Enserune wie am Etang de Montady vorbei. Wie auch der Canal du Midi, der 1861 eröffnet wurde, in Beziers beginnt und über Carcassonne am Atlantik endet. Eine technische Besonderheit höchster Baukunst und Präzision ist der Kanaltunnel von Le Malpas, der 173 Meter lang unter dem Oppidum durch den Berg gestochen wurde. Da müssen die Bootsfahrer alle Lampen anmachen, wenn sie nicht in der Dunkelheit von bösen Geistern aus ferner Urzeit überrascht werden wollen. Die gesamte Region um das Oppidum wurde schon vor längerer Zeit touristisch vorzeigbar gemacht, indem alles und jedes auf kleinen und größeren Schildern und Tafeln beschrieben ist.
Von Nissan d ́Enserune habe ich mehrere Ausflüge am Canal du Midi unternommen und bei einem besonderen Bouleturnier unmittelbar neben dem Canal mit den mir zugelosten französischen Spielerinnen immerhin einen Preis in Form einer guten Flasche Wein gewonnen.
Ich zitiere aus meinem Newsletter
CARCASSONNE 1.01.2016
Ein weiteres UNESCO Weltkulturerbe (1996) verleiht Carcassonne eine zusätzliche Attraktion, die allerdings viel kleiner ausfällt als die große Ringburg. Der berühmte Canal du Midi fließt mitten durch Carcassone und umschließt mit dem Fluss Aude die Innenstadt. Es war schon immer ein Traum des Südens einen Verbindungsweg zwischen der Atlantikküste und dem Mittelmeer zu schaffen. Schon zu Zeiten Kaisers Augustus war diese Idee zumindest im Gespräch. Leonardo da Vinci beschäftigte sich mit einer theoretischen Planung als Planskizze, aber alle scheiterten an dem Problem, diese neue, künstliche Wasserstraße mit genügend Wasser zu versorgen. Die beiden Flüsse Hers und Fresnel waren nicht schiffbar und konnten auch nicht zu diesem Zweck ausgebaut werden, zudem schien das Problem der großen Höhenunterschiede nicht lösbar, auch weil die Schiffbarmachung bei diesem gewaltigen Bauvorhaben nur durch viele Schleusen zu lösen war. Erst im 17. Jahrhundert gelang es dem Salzsteuereinnehmer Pierre-Paul Riquet nach jahrelangen Studien und Versuchen einen umsetzbaren Plan zu entwerfen, der die Finanziers in Paris zu überzeugen wusste. 1766 genehmigte Louis XIV den Bau des eigentlich nach ihm zu benennenden Canal Royal.
1767 begannen die Bauarbeiten, die in den ersten und zweiten Phasen 1781 fertiggestellt wurden. Der erste Bauabschnitt führte von Toulouse 52 km lang über Narouze bis Trebes, 1668 erhielt Riquet die Erlaubnis und den Auftrag für einen weiteren Kanalabschnitt von Trèbes bis zum Étang de Thau bei Sète.
1782 wurde der Kanal aber wieder trockengelegt, da einige Abschnitte dermaßen von Überschwemmungen betroffen waren, dass erneute Befestigungs- und Sicherheitsmaßnahmen notwendig waren. Sebastièn Vauban, der berühmte Baumeister so vieler Befestigungsanlagen wurde beauftragt, diese Mängel zu beheben. Erst 1810 leitete man den Canal auch durch Carcassonne und bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurden immer wieder Erneuerungen oder Verbesserungen vorgenommen. Fertiggestellt war der Kanal 240 km lang, 63 Schleusen zwischen dem Scheitel und dem Étang de Thau waren zu passieren und 189 Höhenmeter zu überwinden.
Unbestritten ist, dass der Canal du Midi dem Süden Frankreichs enorme wirtschaftliche und infrastrukturelle Vorteile verschaffte und die arme Region des Languedoc in die Moderne führte. Die enormen Transportmöglichkeiten auf den Lastkähnen regte den Handel und die Industrialisierung für das überregionale Wirtschaftswachstum an. Nun ging es schnell und einfach, Waren, Post- und Personentransporte vorzunehmen und die dünn besiedelten Departements an das übrige Land anzuschließen. Erst am Ende des 20. Jahrhunderts entstand wirkliche Konkurrenz durch die Eisen- und Autobahnen und heute ist der Canal du Midi eine willkommene Touristenattraktion geworden.
Zurück in Beziers, denn die Geschichte weiß eine Menge über die Stadt an der Orb zu berichten. Die Kälte, die irgendwo aus dem Osten kommen muss, lässt die Stadt erstarren, nur während der Mittagszeit bis vier oder fünf Uhr ist es angenehm, wenn der Himmel klar ist und die Sonne scheint. Wir haben vor einem Restaurant in einer windgeschützten Lage der Innenstadt fast eine Stunde die Sonne genossen. Aber der Tramontane, der von den Bergen des Minervois oder Corbieres ins Tal bläst, fühlt sich ebenso frostig an wie der Mistral in Marseille, wenn er sich von den Alpen und der Haute Provence in die Stadt fallen lässt. Im Sommer, wenn es brütend heiß wird und die Menschen diese Zeit Canicule nennen, sind beide Fallwinde ersehnte Wohlfühlspender. Wenn wir um 17 Uhr unsere Kugeln geworfen haben, war es zwar an manchen Tagen immer noch 35 Grad, aber der Wind kühlte und erzeugte eine seltsam erscheinende Heiterkeit, die nicht vom Wein oder vom Pastis kam. Diesen Trostspender trinkt man später, wenn sich die Sonne allmählich im Westen verabschiedet. Im Übrigen muss es nicht immer Bordeaux oder Bourgogne sein, meiner Erfahrung nach stehen viele Weine aus dem Languedoc diesen sicherlich sehr guten Tropfen in nichts nach. Meine Favoriten bestanden sehr soft in Cuvée-Weinen, die Cinsault, Carignan, Merlot, Syrah, Mourvèdre oder Pinot Franc Trauben enthielten. Aber wer ist schon so dumm oder blaukreuzig, zu einem Glas vollmundigen Bordeaux Superieur Grand Cru der 4. oder 5. Klassifizierung eingeladen zu werden? (Es wäre unverschämt zu sagen, man trinke ausschließlich Grand Crus der höchsten Qualifikation, das überlasse ich anderen, die gerne damit angeben, 32 Jahre alten Whisky zu trinken oder unter einem Steak vom japanischen Wagyu-Rind lieber nichts essen oder anderenfalls eine echte Flönz aus Köln vorziehen)
Eiskalt und saharaheiss. So könnte ich die meteorologische Situation am Mittelmeer augenblicklich beschreiben. Nachts geht das Thermometer teilweise unter Null Grad und in der Nachtmittagssonne würde man sich am liebsten bis auf die Unterwäsche ausziehen, wenn man eine vom Wind geschützte Ecke findet. Wir haben eine Südwestterrasse und große Fenster. Die Sonne scheint mir ins Gesicht und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es draußen allmählich wieder auf die Null zugeht, wenn ich es nicht wüsste.
Valras-Plage liegt nur fünfzehn bis zwanzig Minuten von der Innenstadt Beziers entfernt, also ab ins Auto und dem Mittelmeer entgegen. Valras-Plage gehört immer noch zu den unverbautesten Meeresanrainern in dieser Gegend und das macht den kleinen Ort mit dem riesigen Strand mehr als sympathisch. Die Flut ist offensichtlich auf dem tiefsten Punkt ihres Rückzuges und wir können über einen breiten Sandstreifen am Wasser spazieren gehen. Der Wind bläst, oho, kräftig von Südost und selbst meine Kapuze kann der Zugkraft der Böen nichts entgegensetzen. Dieser Strand ist platt und sauber als habe der Wind seit Tagen seine Planiertätigkeit mit gründlicher Akkuratesse durchgeführt. Wir sehen vereinzelt Paare, mal einen Hund, sonst nur das Meer, das sich mit leichten Schaumwellen auf dem Sand kräuselt.
Die Szenerie wirkt seltsam unwirklich, denn im Sommer ist der Sand unter den sich in der Sonne badenden Urlaubern kaum zu erkennen. Aber das kennen wir und meiden deshalb die Zeiten der großen und etwas kleineren Ferien. Wer sich den Rummel um die Bräune und das flotte Leben antun will, muss unbedingt im Juli oder August an die Mittelmeerküste reisen. Am leeren Strand finde ich überall Motive, wie ich sie liebe. Das Bild eines vollkomen leeren Strandes bedeutet für mich das Konterkarrieren einer rosaroten, sonnengebräunten Scheinwelt, die angeblich Freiheit, Rausch, Lebenslust und Unbekümmertheit vermitteln soll in eine frostig fröstelnde, aber in ihrer Reinheit verzaubernde Wirklichkeit des tatsächlichen Lebens zwischen unserer Nutzbarkeit, Verfügbarkeit und Selbsttäuschung.
Eine Schaukel, ein paar Palmen und überall auf dem Sandboden strahlen die schönsten Farben auf den gestrandeten Venusmuscheln. Nachdem wir eine Weile über den Sand gestapft sind, haben wir eines der geöffneten Strandlokale aufgesucht, um uns ein wenig aufzuwärmen und waren mitten unter Gleichen. Ältere Ehepaare oder Einzelgänger, Rentner und schon überreife Flaneure des Nichtstuns. Das ist ok.
Wir müssen zu unserem Alter stehen und wir sollten auf keinen Fall, den Fehler begehen, so zu tun, als würden wir niemals die Dreißig übersprungen haben. Der Vorwurf an uns Rentner oder in unserem Fall an immer noch nebentätige Rentenbezieher, dass wir die Rente der nächsten Generation verprassen würden, ist ökonomisch unhaltbar und falsch, weil wir im Getriebe der Marktökonomie eine der wichtigsten Konsumentenfaktoren sind. Rentner, die von der Armutsgrenze verschont geblieben sind, verfügen über reichlich Penunze, die es auszugeben gilt. Ohne uns Geld verstreuende, ältere Menschen wären viele in der Gastronomie, im Lifestyle, im Tourismus, im Spielwarenhandel (Enkelchen) oder in der Konsumgüter herstellenden Industrie ohne Arbeitsplatz.
Auch wenn manche älteren Menschen in viel zu großen Wohnungen leben, viel zu große Autos fahren oder zu fahren versuchen und viel zu viel am CO2-Ausstoß beteiligt sind, so sind sie zweifelsohne Teil einer pluralistischen und heterogenen Gesellschaft. Der Generationenvertrag, auch wenn die Alterspyramide inzwischen einen ordentlichen Bauch angesetzt hat, wurde als Basis im konsumorientierten Marktkapitalismus frühzeitig installiert, um ältere Menschen vor später Armut zu bewahren. Leider ist dieses Prinzip im Wirtschaftswunderland Deutschland aus dem Ruder gelaufen und es gibt eine erschreckende Gerechtigkeitslücke nicht nur bezüglich der Frauen, sondern vor allem auch zu den Jüngeren und Eingewanderten. Das Problem hängt mit der gesellschaftlichen Verteilung des Reichtums wie des Immobilienbesitzes zusammen und wird durch eine einseitige Steuerpolitik zu Gunsten einer bestimmten Kaste von Begüterten weiter angeheizt. Selbst konservative Ökonomen warnen schon seit Jahren und mahnen den Staat, eine allen gerecht werdende Verteilung der Staats- und Privatfinanzen per Gesetz umzusetzen. Lebensqualität wird gepredigt, aber Löhne, Gehälter und Beiträge zur Bildung verhöhnen diese wichtige Säule eines solidarischen Staates.
Anstatt den älteren Menschen zu raten, in einer Art medizinischer Planwirtschaft immer älter und immer fitter, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, sollten alle vernünftig denkenden Zeitgenossen das Credo beherzigen, mit vollen Händen ihr Geld auszugeben, ihre noch verbleibenden Jahre zu genießen und dem späten Hedonismus zu frönen. So viel zum Altsein oder Altwerden. Jede Woche lese ich in irgendeiner der seriöseren Zeitschriften Tipps und Empfehlungen, gesund und fit zu bleiben und das Älterwerden auszutricksen. Wer einen billigen Discounterwein trinkt, stirbt vielleicht schon früher als derjenige, der ab und zu für ein paar Euros mehr einen edlen Burgunder, Bordeaux oder Corbières durch die Kehle rieseln lässt und ein wenig Glückseligkeit tankt, wenn er denn rechtzeitig aufhört. Nachdem bald Cannabis legalisiert wird, bläst man in allen Medien Sturm auf alles, was Alkohol ist. Das mag richtig sein, aber je gesünder wir alt werden, desto mehr müssen die Jüngeren in die Rente einzahlen. Im Übrigen ließ in diesem Jahr die reichhaltige Ernte in den Rentenkassen aufhorchen, was nach mehreren Jahren und mehreren Plagen im Prinzip nicht ungewöhnlich ist. Vielleicht wissen viele Jüngere nicht, dass Rentner auch Steuern zahlen müssen, lediglich die im Arbeitsleben gebeutelten Pensionäre werden von diesem Raubzug des Staates verschont.
Wenn einen nicht die Arbeit, der Suff oder andere berauschenden Genüsse dahinraffen, vermögen es immer noch seltene, kaum sichtbare Winzlinge, die in den Lungen ganze Arbeit leisten und das arme Opfer in einem grausamen Tod aus der Welt tilgen.
Wir sind später von Valras-Plage über die Dörfer zum Oppidum d´Enserune gefahren und haben uns den Hügel des Oppidums und das Gelände des ehemaligen Etang de Montady angeschaut. Es ist kein besonderes Erlebnis, mal in die Tunnelröhre des Canal du Midi einen Blick geworfen zu haben oder sich auf dem Hochplateau in einen intimen Freudentanz in eine veritable Orgie der Römerzeit zurückversetzt gefühlt zu haben. In diesen Momenten fallen mir die schönen Chansons von Moustaki, Trenet, Ferrat oder Henri Salvador ein und eine Strophe des Liedes „En Méditerranée“ gefällt mir auch in den heutigen unsicheren Zeiten besonders gut: Il y a des oliviers qui meurent sous les bombes, là où est apparue la première colombe, des peuples oubliés que la guerre moissonne, Il y a un bel été qui ne craint pas l’automne en Méditerranée.
Beziers ist eindeutig gallischen Ursprungs, was auch der alte Name der Stadt Besara andeutet. Ungefähr im dritten Jahrhundert v. Chr. wurde die Siedlung oder Ansammlung von Häusern oder Hütten vom Stamm der Volkae gegründet. Sicherlich ging es bei den alten Galliern recht zünftig zu, denn Funde zeigen, dass die Leute offensichtlich nicht gedarbt haben. Die okkupierenden Römer tauften den Ort dann in Baetterae oder Civitas Bitterensum um.
Die Geschichte Beziers lockte eine Menge interessierter Forscher an, deren größtes Vergnügen es ist, in der Vergangenheit herumzuwühlen ; mit Spaten oder Hacke wie mit Kopf und Kalkulation. Die Gallier oder irgendein Stamm der Gallier, die gerade in der Gegend wohnten oder auf der Wanderschaft waren, bemächtigten sich um 575 v. Chr. der Siedlung, so steht es zumindest in der offiziellen Geschichtsschreibung. Archäologen und andere Altertumsforscher fanden heraus, dass die Siedlung, bevor sie Baeterae genannt wurde, schon in der Jungsteinzeit als Stammesansiedlung nachzuweisen ist. Im Laufe der Eisenzeit vor mindestens 2500 Jahren schufen die Bewohner eine Stadt, die nach heutigem Wissen und vielen Ausgrabungsfunden eine größere Bedeutung in der gesamten Region hatte. Im gesamten Mittelmeerraum machten sie sich einen Namen, auch wenn das mangels schneller Kommunikationsmittel etwas länger dauerte als heute. Das währte so lange, bis die okkupierenden Römer einfielen und Gallien besetzten. Gallia est divisa in partes tres, quarum unam incolunt Belgae, aliam Aquitani, tertiam, qui ipsorum lingua Celtae, nostra Galli appellantur. Das sollte all denjenigen noch bekannt sein, die sich in der Schule mit Caesars „De Bello Gallico“ herumplagen mussten. Ich finde es zumindest einen schönen Zug, dass Caesar auch die Belgier erwähnt hat, was mir in meiner Forschung im Bereich der Trappistenbiere vielleicht wieder ein gutes Stück voranbringen kann.
Wie schon erwähnt, bauten die Römer oder besser formuliert, diejenigen Sklaven, die sie bei ihren Feldzügen hopps genommen hatten, eine Straße, über die sie die gesamte Provence und das Languedoc kontrollieren konnten. Die schwer bewaffneten Armeen der Römer, die mit ihren Eisenpanzern, Schwertern und Lanzen schwer zu schleppen hatten, konnten schließlich nicht durch das Dickicht des Maquis getrieben werden, weil allein diese Anstrengung zu groß für die unbeweglichen Soldateska gewesen wäre. Also baute man Straßen, immer wenn irgendeiner ein anderes Land überfällt, baut er Straßen und errichtet Siedlungen. Diese Straßen nannten sie dann Heer- oder Handelsstraßen, weil es immer hin und her ging und an jeder Ecke Händel ausgetragen wurden. Am Anfang war nicht das Wort, sondern die Eroberung. Das Heer zog Schwerter schwingend durch die Regionen, um das Terrain für die Händler vorzubereiten. Diese Händler, es müssen beileibe keine indigenen Römer gewesen sein, entwickelten marktstrategische Methoden, um sich das Gebiet Parzelle für Parzelle unter den Nagel zu reißen und den Autochtonen einzutrichtern, dass es notwendig sei, die gesamte Chose mit Handel durch Wandel zu befrieden. Schauen wir uns die Weltgeschichte an, sehen wir immer wieder das gleiche Muster, je nachdem, welche Laune die Eroberer gerade hatten. Die Sonne des Südens, Camus beschreibt sie immer wieder in seinen Büchern, sorgte für landwirtschaftliche Erfolge und so entstanden Ackerbau und Viehzucht und noch viel wichtiger der Weinanbau und die Olivenbaumzucht. Der Wein aus Gallien war in Rom äußerst beliebt und Funde bestätigen, dass Amphoren dieses selben sich in der Hauptstadt des Reiches großer Beliebtheit erfreuten.
Spricht man von Geschichte, ist die Religion nicht weit, denn Europa erfuhr nach der im NT beglaubigten Himmelfahrt Christi eine bemerkenswerte Christianisierung. Nachdem der katholische Glaube zur Staatsreligion erhoben worden war und die Päpste sich in Rom breit machten, gab es für fast alle Völker Europas in Fragen des Glaubens kein Entkommen mehr. Religion bedeutet auch Kreuzzüge, mal nach Nahost und mal in den eigenen Reichsgrenzen. Die Katharer und Albigenser, die mit der inzwischen zügellosen und weltlichen Art des Christentums nicht einverstanden waren und deshalb lieber Armut, Bescheidenheit, Würde und Arbeit als höchstes Privileg des menschlichen Daseins erachteten und pflegten, wurden von den katholischen Fürsten gnadenlos unterdrückt. Um der Verfolgung zu entgehen, bauten sie ihre Burgen auf unzugänglichen Gebirgszügen und schotteten sich gegenüber allen anderen ab. Wir waren vor ein paar Jahren in Peyrepertuis und Queribus und konnten nachvollziehen, wie groß die Angst gewesen sein muss, um in derartigen Festungen leben zu wollen, die ein Feind nur durch schweißtreibende Kraxelei erreichen kann.
Die Besiedlung des Ortes begann bereits in der Jungsteinzeit mit einer nachgewiesenen Stammesansiedlung. Während der Eisenzeit vor ca. 2.700 Jahren entwickelte sich der Ort zu einer der größten Siedlungen der Mittelmeerkelten (die letzten Kelten hielten sich bis zum 1. Jahrhundert v. Chr.).
Hier verweise ich wieder auf den Newsletter CARCASSONNE von 1.1.2016
Als im 11. Jahrhundert Roger-Raymond Trencavel zum Vicomte ausgerufen wurde, übernahm er eine wohlhabende und blühende Stadt. Da der Zahn der Zeit mit allen Irrungen und Wirren nicht spurlos an der Stadt vorübergegangen war, befahl er, dass bauliche Erneuerungen und die Reparatur der alten Substanz vorgenommen wurden. Der Reichtum und die Weitsicht des außergewöhnlich beliebten Vicomte sorgte dafür, dass die Menschen in und um die Festungsanlage zufrieden und ohne materielle Befürchtungen leben konnten: Im Schloss wurden rauschende Feste gefeiert. Das sprach sich im ganzen Land herum und die Troubadoure und Gaukler gingen ein und aus. Trencavel sorgte auch für eine lebhafte intellektuelle und musische Förderung mit dem Anspruch, Debatten und philosophische wie theologische Auseinandersetzungen auf friedlicher Ebene zu führen. Er wusste, dass eine religiöse Unterdrückung der unterschiedlichen Glaubensbekenntnisse nur zu weiteren gewaltsamen Spannungen führen würde und tolerierte die „abtrünnigen und sektiererischen“ Katharer, was ihm letztendlich den Kopf kosten sollte. Nach dem von Papst Innozenz ausgerufenen Kreuzzug gegen die Katharer wurde Trencavel nach der Niederlage in einem der Türme der Stadtbefestigungen eingekerkert, wo er kurz darauf verstarb.
Während des 12. Jahrhunderts verbreitete sich die Lehre der Katharer, deren katharische Lehre der Albigenser (nach der Stadt Albi im Zentrum des Departments Tarn ca. 80 km nordöstlich von Toulouse gelegen), eine in den Augen der vatikanischen Herrscher sektiererische Abspaltung der reinen katholischen Lehre, die demzufolge als Häresie gegeißelt wurde. Über die Grafschaften von Toulouse bis Carcassonne, wie allen anderen kleineren Gemeinden wurde der Bann verhängt. Die Verfolgung der Katharer nahm ihren Anfang und viele flüchteten in die bewehrten Orte, Burgen oder Schlösser wie Carcassone oder Limoux. (Wer die Departements des Roussillons schon einmal mit geschichtlichem Interesse durchstreift hat, kennt die berühmten letzten Rückzugsorte der Katharer wie die Burgen Peyrepertus, Queribus, Montsegur oder Puilaurens, die wie steinerne Kronen auf schmalen und steilen Bergrücken errichtet wurden)
Papst Innozenz III., der als unerbittlicher Gegner der Häresie und bekannter religiöser Fanatiker galt, rief im Jahre 1208 zum Albigenserkreuzzug auf, in dessen Zuge sich der Graf von Toulouse Raimund VI. dem Heer der nordfranzösischen Ritter mit Simon IV. de Montfort an deren Spitze, unterwarf. Die vereinigten Truppen überfielen die Besitzungen des Vizegrafen von Carcassonne und Béziers. Carcassonnes wehrhafte Mauern wurden binnen zweier Monate (wahrscheinlich durch Verrat, andere Version: wegen Wassermangels) eingenommen. Die Bevölkerung wurde ermordet oder verschleppt.
Die Stadt war eine der Hochburgen der Katharer, die die katholische Kirche als Ketzer betrachtete. Juli 1209 erreichte die Kreuzfahrerarmee das Stadttor von Béziers. Den katholischen Einwohnern der Stadt wurde ein Ultimatum gestellt. Sie mussten die Katharer der Armee der Kreuzfahrer übergeben oder die Stadt verlassen, bevor die Belagerung begann. Die katholischen Einwohner von Béziers unterstützten jedoch die Bewohner der Katharer. Einen Tag später, am 22. Juli 1209, wurde die Stadt von der Kreuzfahrerarmee geplündert und massakriert. Niemand wurde verschont. Nicht einmal die katholischen Priester, die Zuflucht in der Kirche suchten. Dieses Gemetzel ist eine schwarze Seite in der Geschichte der Stadt.Der Stadt Béziers erging es noch schlechter, denn die Menschen wurden im wahrsten Sinne des Wortes massakriert. „Tötet sie, Gott wird die Seinigen schon erkennen“– Arnaud Amaury: Abt und päpstlicher Legat bei der Einnahme von Béziers. Laut schriftlicher Aussage wurden 7.000 geflüchtete Menschen in einer Kirche samt dem Gotteshaus verbrannt, insgesamt nimmt man an, dass mehr als 20.000 Personen ermordet wurden. Der Genozid an den Katharern, anders kann man diese mörderische Unterwerfung der gesamten Region um Toulouse, Carcassonne und Beziers nicht nennen, hatte zur Folge, dass Frankreich in eine geopolitische Neuordnung geführt wurde.
In griechischer und römischer Zeit etabliert sich „Baeterrae“ (lateinischer Name) als Handelsort. Der 60 Meter hohe Hügel direkt am Ufer der Orb, welcher heute die weithin als Wahrzeichen der Stadt sichtbare Kathedrale St. Nazaire in den Himmel ragen lässt, eignete sich ideal für die Überwachung von Flusspassage und Handelsroute.Ebenso wie Agde wird auch Béziers zunächst im 6. Jahrhundert von den Westgoten und zu Beginn des 8. Jahrhunderts von den Sarazenen erobert. Im Jahr 737 wird die Stadt von Karl Martell mehr oder weniger dem Erdboden gleich gemacht, nur um bereits wenige Jahrzehnte später unter dessen Enkel Karl d. Großen zum Bischofssitz erhoben zu werden.
Ein erster Besuch sollte der Kathedrale Saint-Nazaire hoch oben in der historischen Altstadt gehören. Diese Kathedrale ist weit über die Stadt hinaus zu sehen und gilt als ein gutes Beispiel schönster gotischer Architektur des vierzehnten Jahrhunderts. Wenige hundert Meter weiter steht die romanische Kirche St. Aphrodisian und zeigt die pure Schönheit dieser Bauweise aus dem 8. oder 9. Jahrhundert n. Chr. Wer es mit dem Stierkampf hält und im Herzen als kleiner Hemmingway durchs Leben geht, sollte die Feria besuchen. In zwei Arenen kann man immer noch der massentauglichen Abschlachtung edler Stiere aus der Camargue durch verkleidete Metzgergesellen zuschauen, muss man aber nicht oder man schaut sich den unblutigen Tanz um das mächtige Tier an, wenn ein rotes Band vom Horn gezupft wird.
Vom Hügel der Kathedrale abwärts gelangt man auf die „Place de la Victoire“ und den breiten Boulevard „Allée Paul Riquet“ (wir erinnern uns an den Canal du Midi). In Paris würde man Prachtstraße sagen, hier ist es die zentrale Kommerzader der alten Stadt. Am Bahnhof wurden die Polygone gebaut, hässlich wie alle Einkaufszentren, um den Markennamen dieser Welt einen Zufluchtsort zu gewähren. Die „Allée Paul Riquet“ endet einerseits auf der Place „Jean Jaures“ und zweitens im Park „Plateau des Poètes“. Jean Jaures wird im republikanischen Frankreich überall verehrt, auch wenn inzwischen die Le Pens gerade im Süden ein Rathaus nach dem anderen erobern. Jean Jaures stammte aus dem Süden und war sozialistischer Deputierter in Paris. Er gab die erste bedeutende sozialistisch-kommunistische Zeitung heraus: „L ́Humanitée“. Diese Zeitung existiert immer noch, auch wenn der Stimmenanteil der PCF inzwischen kaum noch in Ziffern zu packen ist. Der schön angelegte Park „Plateau des Poètes“ zeigt die Büsten occitanischer Schriftsteller, die rund um ein Rondell aufgestellt wurden.
Am Schluss möchte ich noch an Jean Moulin erinnern, der in Beziers geboren wurde und während des Zweiten Weltkrieges führender Kopf der Resistance war. Auch sein Gedenken wird überall in Frankreich gewürdigt.
Wer nach Beziers fährt und sich etwas Zeit nimmt, wird eine Kleinstadt erleben, die aus der Geschichte in die Neuzeit gewachsen ist und ein Schmuckstück auf der städtebaulichen Perlenkette Perpignan, Narbonne, Nîmes, Montpellier, Avignon und Marseille ist.
Wir werden wieder nach Beziers fahren, allerdings sollte es dann mindestens 20 Grad haben, aber all, die jetzt Appetit bekommen haben, warten Sie auf den Frühling.
Wolfgang Neisser
28. Januar 2023 in Beziers
Alle Fotos im Besitz von philosophiekunst – Wolfgang Neisser
Alle Photos in der Reihenfolge
1. Schilder am Bahnhof Beziers
2. Blick vom rechten Obufer auf die historische Altstatdt mit der Kathedrale „St. Nazaire“
3. Denkmal Paul Riquet an der „Allee Paul Riquet“ und am „Place Jean Jaures“
4. Rennaissancehaus am Boulevard Altstadt
5. Plateau des Poètes – Einer der occitanischen Schriftsteller oder Poeten
6. Winter in Valras-Plage
7. Buhne am Meer von Valras-Plage
8. Etang de Montady beim Oppidum Enserune
9. Eglise St. Aphrodiasme
10. Blick auf die Berge des Corbieres
11. Innenraum „Kathedrale St. Nazaire“
12. Schleuse – Wehr am Anfang des Canal du Midi
13. Wandgemälde Jean-Antoine Injalbert
14. Blick über die Orb zu den Bergen des Katharerlandes
15. Büste „Jean Jaures“ am Place Jean Jaures
Moi meme