Nachdem die Linken, die Liberalen und die Konservativen überall in Europa bei den einzelnen Wahlen in den Ländern der EU empfindliche Abstrafungen seitens der Bürger hinnehmen mussten, ist auch in Italien nach einem überraschenden Wahlergebnis sowie nach zähem Ringen eine neue Regierung entstanden. Am 25. Mai wird Italien regierungsfähig und die neue Datenschutzverordnung sorgt überall in Europa für nervöse Zuckungen hinausgeschobener Unwissenheit.
Man kann es als kuriose Kombination zweier Koalitionäre bezeichnen, die sich vor der Wahl gegenseitig heftig angegriffen haben und nur in wenigen Punkten auf einer Linie schienen. Die Lega Nord, die rechtskonservative Partei die hauptsächlich in Venetien, der Lombardei,im Piemont und im Friaul die meisten Stimmen bekamen und das Movimento Cinque Stelle (Beppe Grillo), die gerade in Mittel- und Süditalien sowie in Sizilien abgeräumt haben. Die Partido Democrazia konnte allein in der Toscana reüssieren, sie verloren zwar heftig, konnten sich mit knapp 18 Prozent gegenüber den beiden „Bewegungen“ zwar gewisse Chancen ausrechnen, irgendwie an der Macht in Rom beteiligt zu werden, aber der Graben war offensichtlich zu tief. Beide Wahlgewinner, die Lega mit 17,3 Prozent und die M5S mit 33 Prozent, gaben sich vor der Wahl dezidiert Europa kritisch bis feindlich, bis sie durch die Wahlergebnisse gewissermaßen gezwungen waren, sich zusammenzuraufen und Koalitionsverhandlungen anzustreben, obwohl Beppe Grillos Cinque Stelle seit Jahren überaus laut hinausposaunt hat, niemals in Koalitionen gehen zu wollen und auch der Funktion des Regierens sehr kritisch gegenüberstanden. Adenauer würde wieder sagen: „Was kümmert mich das, was ich gestern gesagt habe“. So kamen dann doch zusammen, was eigentlich nicht zusammengehört oder eine Art Zweckheirat angezettelt haben. Der 31 Jahre alte Luigi di Maio von der M5S gilt als dynamische, attraktive Gallionsfigur, während die wahren Mächtigen im Hintergrund die Drähte ziehen. Bei der Lega Nord, die eindeutig einen rechten, antieuropäischen Kurs verfolgt und zudem am liebsten den reichen Norden Italiens separatistisch ablösen möchte, kommt ein politischer Bullterrier an die Macht, den eigentlich nur die reicheren und nationalistischen Norditaliener wollten. Matteo Salvini von der Lega ist momentan ein Wolf im Schafspelz, der bislang Kreide gefressen hat, aber wenn ab heute die Geschicke des Landes in die Hände genommen werden, wird es einige Überraschungen geben.
Zunächst haben beide Parteien oder Bewegungen sich darauf geeinigt, einen Außenseiter als Ministerpräsidenten zu installieren und so kam der Rechtsprofessor Giovanni Conte, ein im italienischen Politikchaos sehr unbekannter Kandidat, der jetzt wahrscheinlich den Einflüsterungen der beiden starken Männer Folge leisten wird, zum Zug. Wie und welchen Auswirkungen Italien und Europa von nun an ausgesetzt sein wird, wird sich in den nächsten Monaten herausstellen. Man spricht schon ganz offen vom Beginn „Einer dritten Republik“, wobei man wissen muss, dass Italien nicht nur über 40 Jahre von der Democrazia Christiana regelrecht in Schutzhaft genommen wurde, sondern in diesen Jahren auch die Spaltung zwischen Nord- und Süditalien weiter vertieft wurde. Allein die Affären des machtbesessenen und wohl berüchtigsten Ministerpräsidenten Andreotti, der im Film „Il Divo“ mit seinen Machenschaften schauspielerisch rekonstruiert wurde, hat neben der Berlusconi-Ära die deutlichsten Spuren des Machtmissbrauchs hinterlassen. Von Andreotti weiss man juristisch nachweisbar, dass die Mafia unsichtbar am Kabinettstisch saß. Diese Zeit der DC wird als die zweite Republik bezeichnet. Immerhin muss man sich bewusst werden und immer einbeziehen, dass in Italien seit 1946 63 Regierungsbildungen stattgefunden haben und 28 Regierungschefs mit unterschiedlich langen Amtsperioden im Quirinale saßen. Wenn man diese Tatsache aus einer eher kritischen Perspektive sieht, braucht man nicht unbedingt in Angststarre zu verfallen. Denn wie man so schön sagt: Die Präsidenten kommen und gehen, aber die Vini Nobile bleiben immer bestehen. Die Italiener haben Andreotti und Berlusconi überlebt, auch wenn der gesellschaftliche und kulturelle Schaden, den beide angerichtet haben, heute noch überall spürbar ist. Es ist anzunehmen, dass sie auch die Melange aus Rechts und Indifferenz überstehen werden.
Die Regierungsbildung wird spannend, denn keine der beiden Parteien hat jemals Verantwortung für Gesamtitalien übernommen und die Protagonisten aus den Parteikadern kennen wir noch nicht, auch weil bei uns jahrelang die innenpolitische Gemengelage Italiens nicht allzu ernst genommen wurde, was die beiden neuen starken Bewegungen betraf.
Der Kandidat für den Posten des Finanz- oder Wirtschaftsminister, der 81jährige rechtslastige Ökonom Paolo Savona, hat schon in anderen Regierungen wichtige Funktionen ausgefüllt, unter anderem war er Industrieminister. Savona parliert immer wieder über einen Euroaustritt und die hanebüchene Schuldenerlassefrage wird auch aus dieser Ecke vermutet.
Was bedeutet das für Sizilien und kann man irgendwelche Äußerungen vernehmen? Wir sind noch nicht so dicht dran, um irgendwelche Analysen oder Meinungen sagen zu können und ich will mich auch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, schließlich wohnen wir im 6. Stock am Ballaro. Das Leben geht seinen Gang weiter, die Marktstände machen jeden Morgen um 8 Uhr auf, die Touristen belagern die Kathedrale und den Normannenpalast und auf den Flanierstraßen Maqueda, Via Roma und Via della Liberta schlendern am späten Nachmittag die Leute entlang, schauen Schaufensterauslagen an, essen Eis oder trinken in irgendeiner Trattoria oder Bar ihren Weisswein oder auch ein Bier. Übrigens der Bierverbrauch in Italien ist in den letzten Jahren massiv gestiegen und die allgemeine Lidlisierung greift gewaltig um sich. Bella Italia, Goethes Arkadien, das Land, wo die Zitronen blühen – seit über 2000 Jahren hast du alle Epochen, Normannen, Franzosen, Borgias, Machiavellis, Könige und Feudalherren, Faschisten, den Verkauf der All Italia, die Niederlagen von Ferrari und unzählige Mafiabosse ertragen und bleibst doch immer ein Land der Sehnsucht für die unter dem überwiegend gräulichen Himmel lebenden Menschen des Nordens. Vielleicht zeigt uns die Manifesta neue Ideen, Visionen oder Pfade, die Italien noch nicht eingeschlagen hat.