London´s calling. Wenn Mensch über Düsseldorf nach London gelangen will und wenn Mensch aus Köln kommt, stehen ihm mehrere Möglichkeiten offen, den DUS(sel) Flughafen zu erreichen. Entweder fährt Mensch mit Personenkraftwagen oder auch Verbrenner genannt und sucht nach seiner Ankunft auf dem weitläufigen Flughafengelände mit all den seelenlosen Parkhäusern und den überfüllten Open Air Parkplätzen, solange, bis er fluchend ins Lenkrad beisst oder auf gibt und lässt sich für sein Gefährt das Portemonnaie fleddern. Das ist eine Möglichkeit, die bessere wäre natürlich ein Flug von Köln gewesen, aber wenn an dem bewussten Tag keine Maschine in den Morgenstunden von der Rollbahn abhebt, muss er entweder die erste Möglichkeit in Kauf nehmen oder er nimmt vorlieb mit der Bahn auf, wobei jeder heimliche Trainspotter weiß, dass die Deutsche Bahn, wie die Bundesbahn seit einigen Jahren und einem Aktiengang heißt, nicht zur Zuverlässigkeit neigt und sich ein schon fest gebuchter Flug wegen einer Verspätung oder eines Zugausfalls in Luft auflösen kann. Wusch. Mensch könnte auch nach D`dorf wandern, dann müsste er allerdings mindestens einen Tag früher starten, um rechtzeitig und wahrscheinlich zum Last Call hechelnd vor der Gangway zusammenzubrechen. Keine gute Idee. Also nehmen wir, da wir ohnehin den ökologischen Fußabdruck strapazieren, den Schnellzug mit 4 Stopps, der Mensch direkt zum Flughafen bringt., wo er mit einer schön designten Schwebebahn zum Terminal gebracht wird. Heute war so ein Tag, den Mensch im Kalender anstreichen sollte, weil die Bahn außergewöhnlich pünktlich war. Pfingstmontag ist eigentlich ein ruhiger Tag, aber auf einem Flughafen merkt Mensch nichts davon. Die Flugscham ist vorbei und im Süden oder in Übersee ist es für ein paar Wochen schöner als im regelkonformen Deutschland. Eingecheckt waren wir schon, jetzt hieß es nur noch die Koffer vor sich hinschiebend zur Gepäckaufgabe zu trotten. Step by step. Langsam. Alles klar, weiter zur Personenkontrolle. Mensch sieht den ersten Controller, wie er die ältere Dame vor ihm zurechtweist und denkt sich seinen Teil. Ausziehen, Taschen entleeren, vielleicht das Handgepäck öffnen, was könnten die beiden Aufpasserinnen mit dir selbst vorhaben? Sollen sie doch gleich anordnen, dass Mensche sich nackisch zeigt, man kann ja Vorhänge anbringen. Mensch kommt reibungslos weiter und auch bei der Durchleuchtung läuft alles glatt. Aber dann. Mensch wird an einen Nebentisch gewunken und ein weiterer Inspizient wühlt in der Fototasche rum, obwohl Mensch ihm gleich zu Beginn forsch darauf hingewiesen hat, dass in selbiger Hängetasche nur Kameras und Objektive und andere Fotoutensilien zu finden sind. Dann greift der Inspizient in eine kleine Seitentasche und fischt einen glänzenden Gegenstand heraus, den Mensch auf den ersten Blick nicht erkennt und auf den zweiten Blick als einen Leatherman oder ein Multifunktionswerkzeug erkennt, den er irgendwann einmal in die Fototasche gelegt hat, weil Mensch nie wissen kann, welche herausforderungen er noch überwinden muss. Was ist das, der Inspizient kennt so etwas offensichtlich nicht und winkt einen Kollegen heran. Werkzeug, sagt der, zusammenklappbares Werkzeug für alle Fälle. Kennste nich, ist ganz praktisch, klappt man auf und hat eine Zange? Sehen Sie, sagt Mensch, ganz harmlos und demütig, Werkzeug eben, Werkzeug für die Fotografie. Dass da einige Messer und eine kleine Säge verborgen installiert sind, verschweigt Mensch geflissentlich. Das gehe nicht, Werkzeug sei streng verboten, in ein Flugzeug mitzunehmen. Soll ich das wegschmeißen, sagt er dann völlig gefühlskalt? Mensch sagt, denken Sie gar nicht erst daran, dass Teil kostet hundert Euro. Also dann lieber ins Fundbüro. Na ja, ok. Soll Mensch etwa den ganzen Weg wieder zurücklaufen, um das Fundbüro zu orten, um dann abgehetzt im Wartebereich erschöpft in die unbequemen Sessel zu fallen. Nein, nein, hier ist eine Tüte, das schreiben Sie den Namen oben drauf und können den Gegenstand innerhalb einer Frist von 90 Tagen im Fundbüro abholen. Kostet sechs Euro, aber dafür brauchen Sie jetzt nichts weiter zu unternehmen. Na gut, sagt Mensch und meint „Leck mich im Arsch“. Wieder ein Gang mehr, den Mensch gehen muss, weil diese blödsinnigen Vorschriften verankert wurden und Mensch selbst schuld ist, wenn er vergisst, dass noch der Leatherman im Bag ist. Na ja Düsseldorf, eben. Flugzeug verspätet sich und das bedeutet herumhängen in diesem steril langweilig gestylten Warteraum. Wartesaal dritter Klasse, wie zu Kaisers Zeiten. Eine britische Sporthorde rückt an und erhöht den Geräuschpegel um etliche Dezibel. Junge, sportliche bis stramme Mädchen in den gleichen Trikots und mit der Rückenaufschrift „Great Britain“. Mit Betreuern und Betreuerinnen sind es ungefähr vierzig kräftig gebaute Gestalten, die so aussehen, als könnten sie locker jede Wirtshausschlägerei für sich entscheiden. Mensch versucht herauszufinden, welchen Sport die überwiegend jungen Damen ausüben und wird bei einem aufgesticktes Emblem fündig. Es ist die britische Damen-Frauschaft für American Football. Oha, denkt sich Mensch, wie die wohl bei einem Turnier in unseren Landen abgeschnitten haben dürften. Die schienen alle über alle Maßen gut gelaunt zu sein und entweder lag das an diversen flüssigen psychotropen Substanzen oder sie fuhren als Winner heim.
Das Boarding ist eröffnet und alle drängeln sich an den zwei kleinen Schaltern, um schnell in die Maschine zu gelangen, obwohl sie wissen müssten, dass in dem schmalen Gang zwischen den Sitzreihen Schnelligkeit ein euphemistischer Gedanke ist. Mensch sitzt ganz vorne, weil er versäumt hat, seinen Platz vorher auszusuchen und zu belegen und somit das nehmen muss, was übrig bleibt. Diesmal ist es gar nicht so schlecht, denn die ersten Reihen verfügen über geräumigere Beinfreiheit. Freiheit allen Beinen wäre ein Slogan, der für bestimmte Zielgruppen wie Models, Marathonläufer-innen, Extremwanderern oder anderen beinbetonten Bevölkerungsgruppen gut ankommen würde, denkt Mensch und bemerkt erst jetzt, dass er neben dem großen Düsenantrieb sitzt, Da hilft auch keine Musik, die wie ein Wispern zwischen Kopfhörer und Ohrmuscheln zerrinnt. Nach anderthalb Stunden wundert sich Mensch, warum das Fluggerät schon dreimal hintereinander in Schräglage Kurven drehte und denkt, dass vielleicht all die Schlösser und Landsitze umflogen werden müssen, um deren wohlhabenden und einflussreichenBewohnern den Krach zu ersparen. Es sind aber Warteschleifen, weil sich die ankommenden Flugzeuge vor den Landebahnen in der Luft im Kreise knubbeln. Dann gehts runter. Der Aufsetzer war hart, aber gekonnt gemeistert.
Nun sind wir also im Brexit-Ausland, weder Nicht Europa und Doch Europa. Je nachdem, aus welcher Perspektive schaut. Von Norden nach Süden oder umgekehrt. Die Folgen des Brexit machen sich bei den folgenden Kontrollen schon bemerkbar, allerdings scheinen sie von Big Brother durchgeführt zu werden, weil alles menschenlos geregelt ist. Pass scannen, warten, erneut scannen, wenn das Dokument nicht passgenau im Schlitz hängt und dann öffnen sich die Schwingflügeltore zum Einlass ins freie und unabhängige Großbrittanien. United Kingdom oder united Schwachsinn, darüber könnte Mensch streiten, aber will er nicht, weil er schon ziemlich down ist.
Aber das ist erst der Anfang, denn Mensch mit Frau muss noch den Zielort erreichen und den hat er vorsorglicherweise aus einem Konvolut vieler nächtlicher Hirnquälereien in die Nähe von Schloss Windsor gelegt, weil Mensch London zwar sehen muss und auch viele Fotos schießen wird, aber nicht die Mondpreise der City bezahlen möchte. Schloss Windsor hat Mensch schon einmal in und auswendig fotografisch dokumentiert, es besthet also kein Wunsch, diese Tortur noch einmal durchziehen zu wollen. In Slough, ausgesprochen Slao, hat Mensch ein geräumiges Apartment gemietet und kann jederzeit mit der schnellen Elizabeth-Line (Lisbetflitzer) in die mit Finanztempeln zugemüllte City pendeln. Touristen, die nur gaffen und die Aussicht für seine Linsen versperren, mag Mensch gar nicht und zieht es vor, von Touris unbehelligt im Völkergemisch einer Vorstadt, die nächsten vierzehn Tage zu verbringen. Ticket kaufen, Bahnsteig suchen und ab dafür. In Harlington umsteigen nach Reading und in Slough das Ziel erreichen. Da hat Mensch aber nicht mit den großen Unterschieden kontinentalem Pragmatismus und viktorianischer Tradition gerechnet. Am Taxistand, vier Wagen standen wartend hintereinander in einer Reihe und ebensoviele Chauffeure umringten ihn und Frau, nachdem er einem pakistanischstämmigen Fahrer zu erklären versucht hatte, wohin die Reise gehen sollte. Der verstand nichts und Mensch verstand nichts und bald verstanden alle nichts mehr und Mensch griff zum smartphone, um den Vermieter anzurufen. Es klingelte und summte und klingelte und summte, aber keiner griff irgendwo auch nur ansatzweise zu einem Hörer oder dieser sprechenden Tafel Schokolade, die viele waagrecht auf der Handfläche vor den Mund haltend, besprechen, was aber so aussieht, als hätten sie Lust in das Flachfon reinzubeißen. Mensch schweift ab und kommt trotz wirbelnder Gedankenstürme zurück in die Wirklichkeit. (wie auch immer, die aussehen mögen) nachdem eine gute halbe Stunde vergangen war und nichts Weiterführendes geschah, fiel Mensch ein, dass unter der Adresse eine Zahlen-Ziffernkombination stand, die wahrscheinlich die genauen Geodaten anzeigten. Und so war es auch, der ältere pakistanische Empirebürger verstand und tippte die Kombination in sein Navigationsgerät vor der Frontscheibe. Wer jetzt meint, dass Mensch sich in rassistisch konnotierten Äußerungsabgründe begeben habe, irrt, denn in Greater London mit der kaum zählbaren Vielfalt an Ethnien, von denen viele aus dem asiatischen Raum ihres riesigen Empires stammen, muss ein Schreiber Ursprünge und Herkunftsmerkmale benennen, weil der Leser die wichtigen Unterschiede herausfiltern kann. Mensch geht nicht hin und fragt: woher du stammen, was du sein oder so. Mensch ist kein Rassist. Nun fuhr der Taxidriver los.
Mensch hatte sich die Umgebung der angemieteten Wohnung vorher bei google.maps angesehen und wusste, dass das Ziel allerhöchsten 1-2 km entfernt sein konnte, wahrscheinlich war die Gehstrecke noch viel kürzer. Der Chauffeur fuhr und fuhr und schaute mehr auf das Navi als auf die Straße, aber das misslang immer wieder, weil die von hinten hereinfallenden Sonnenstrahlen eine Übersicht der im Display erscheinenden Straßenkarte fast unmöglich erscheinen ließ. Er hielt die Handfläche als Gegenwehr mal rechts, mal links und mal oberhalb des Navis, um nicht wegen der wechselnden Lichtverhältnisse vollends aus der Spur zu geraten. Und haste nicht gesehen, auf einmal war Mensch und Frau oder umgekehrt mit Fahrer und Koffern direkt vor dem ersehnten Haus, dessen Bild der Vermieter über what´s app zugeschickt hatte. Also gut zu identifizieren. Ein Wunder oder nur das Ende eigentümlicher Verkettungen nicht zusammenpassender Meinungen zwischen Angelsachsen und Rheinländern. Die letzte Hürde hieß, in das Haus hereinzukommen. Auch das war genau beschrieben worden, aber leider nicht so, dass die Feinheiten von touchen und drehen und tippen auch erwähnt worden wären. Ein kleiner unscheinbarer Kasten erwies sich als hartnäckiger Widersacher. Plötzlich ging es sehr schnell. Ein fester Daumendruck auf eine schwarze Glasscheibe und es erschienen die Sesam-öffne-dich-Zahlen. Und das Drehen war eben wie im Empire üblich genau umgekehrt als auf dem Kontinent. Noch ein Schlüssel, zwei Stockwerke und eine helle, geräumige Wohnung mit allem drum und dran, Komfort und komm zurück, lag vor den erlöst wirkenden Blicken der beiden inzwischen arg lädierten Mitteleuropäer aus dem großen Marktwirtschaftsreich EU. Where is the best place in the world, here it is, if the customer will be kept satisfied. Oder so ähnlich.
Was es aber in der näheren Umgebung von Slough und der Wohnung noch alles gibt, schreibe ich in einer weiteren Folge dieses Blogs. ZumBeispiel über den Polnischen Supermarkt um die Ecke, die Rosenhöhle eines indischen Restaurants und den Kauf eines Verlängerungskabels.
Wolfgang Neisser
29. Mai 2023
London