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Dichter Nebel für nebulöse Dichter

Nebel ist ein direkter Verwandter des Wassers, der Seen, der Flüsse oder des offenen Meeres, in seiner physikalischen Konsistenz besteht dieser dunstige Schleier, der bei ganz genau definierbaren Temperaturphänomenen entsteht, aus Wasser. Oft ist er undurchdringlich für das menschliche Auge, das Licht spielt eine entscheidende Rolle, ist die Sonne wärmend genug, löst sich der Nebel oft zur Mittagszeit auf, ist es zu kalt, kann der Nebel den ganzen Tag wie eine fast immaterielle Decke zwischen dem hohen Himmel und der Erde liegen.
Venedig kennt diese Nebelglocke sehr genau, gerade in den späten Herbstmonaten und im Winter verschwinden die leuchtenden Farben der Stadt im Dunst der sich verdichtenden Millionen kleinen Wassertropfen. Das besondere Licht verwandelt alles in die verschwommene Blässe einer eigenartigen Melancholie. Heute war die ganze Stadt in der Lagune, die gesamte Region zwischen Messer und den über hundert Inseln im dichten Nebel eingehüllt. Filmliebhaber kennen die dramatischen Aspekte des Nebels aus sehr unterschiedlichen Filmen wie „Quai des Brumes“, „Ivan Rubljow“ oder der „Nebel des Grauens“, aber auch aus dem Venedigfilm „Wenn die Gondeln Trauer tragen“. Ob aber irgendjemand weiß, wie schwierig es ist, im Nebel zu fotografieren oder zu filmen, steht auf einem anderen Blatt geschrieben, das betrifft fast alle Menschen, die sich nicht mit der Technik des Fotografierens beschäftigt haben. Natürlich kann jeder auch mit seinem smartphone ganz gute Stimmungsbilder bei Nebel einfangen, aber oft schaltet die Automatik der Kamera den ISO-Wert auf über 1200 und schon hat die digitale Optik eine Lichtstärke erreicht, die staunenswerte vorzeigbare Aufnahmen realisiert. Wer einmal analog fotografiert und die Negative selbst entwickelt hat, weiss, dass das Licht, ob strahlend hell oder dunstig verschwommen, nur sehr schwer einzufangen ist. Empfehlenswert ist für Nichtfotografen hochprozentiger Schnaps, dann weiss man irgendwann, wie man mit dem Auge neblige Zustände erzeugen kann.

Leider habe ich weder sehr lichtstarke Objektive, (die sündhaft teuer sind), noch war es mir möglich, ein Stativ aufzustellen; allein der Gedanke, ein Stativ mit mir herumzuschleppen, ist mir auf Flugreisen zuwider, derartig technisch ausgefeilte Perfektionsfotografie überlasse ich allen anderen, die ein sehr teures Equipment ihr eigen nennen und zudem stundenlang warten können, bis bei einer Belichtungszeit von 1-2 Sekunden oder mehr bei einer Blende von 16-22 irgendwie ein Lichtblick im Nebel auftaucht, der schließlich bei absoluter Standfestigkeit das perfekte Foto ergeben kann. Diese Fotos liebe ich natürlich auch, aber ich habe die Motive und die Ergebnisbewertung meiner Fotografie eigenen Parametern unterstellt. Mir reichen Motive im Nebel, sodass auch für jeden erkennbar ist, was Nebel mit der Materie der Steine, der Mauern, der Brücken oder des Wassers ohne direkte Beleuchtung bewirken kann. Und so bekomme ich auch ganz gute Fotos, die die Atmosphäre eines Nebeltages sehr gut wiedergeben und vor allem nicht unter Stills oder Landschaftsimpressionen zu subsumieren sind.

Zuerst wollte ich auf die Dachterrasse der Fondacio Tedesci steigen, um von dort aus das Dächermeer Venedigs mit den verästelten Kanälen im  Nebel einzufangen, musste aber schon bei der ersten Auskunft lange vor der Öffnung erkennen, dass dieser Wunsch heute nicht in Erfüllung gehen würde. Ein Wachmann am Eingang (es war Viertel vor 10) versuchte mir im sehr schlechten Englisch, man kann ihm diesen Mangel nicht verdenken, mit besseren Sprachkenntnissen wäre er vermutlich im Warmen des Luxusgeschäftshauses gewesen, und würde vielleicht mit anderen smalltalk, die Sachlage zu erklären. Später um zehn Uhr ging ich sofort rein und mit mir strömten gruppenweise Menschenmassen wie aus dem Nichts in die luxuriös umgebaute ehemalige deutsche Handelsniederlassung. Die freundliche Dame am Informationsschalter sagte mir, dass gerade heute, Sabado, die Terrasse oben schon lange vorgebucht sei und dass das Gedränge auch später kaum die Möglichkeit zulassen würde, vom Geländer aus ungestört und mit freier Sicht auf die unter dem Haus liegende Stadt fotografieren zu können. Da zog ich ab und ging durch viele Gassen und Strassen bis zum Piazzale Roma. Zwischendurch schaute ich mir die Markthalle an, befand mich auf menschenleeren Plätzen, die wahrscheinlich selten Touristen sahen, so versteckt lagen sie hinter schmalen Gassen und Hausdurchgängen und wandelte am Ende meines Ganges durch den kleinen Park gegenüber der Ferrovia.

Plötzlich kam mir der Sinn, mal mit der neuen Straßenbahn zu fahren, die Mestre zum Ziel hatte und ehe ich mich versah, saß ich in einer der roten Trams, die über den langgestreckten Damm aufs Festland fuhren. Diese Tram ist besonders, sie fährt nur auf einer Gleisspur, also allein eine Schiene in der Mitte führt die Bahn, und entsprechend rattert das gesamte Gefährt über den holprigen Asphalt.
Der Nebel wurde immer dichter und in Mestre Centro dachte ich erst, dass ich vielleicht unterbewusst Sehnsucht nach Köln-Mülheim gehabt haben musste, so triste und öde sah es, genau wie rund um den Wiener Platz, wenn Nebel, Regen oder Grauwetter sich Kölns bemächtigt hat. Über Mestre kann man nicht viel sagen, ausser, dass alles sehr eintönig wirkt und in hässlichster Architektur als Wohn- und Industriestadt aus dem Boden gestampft worden ist. Bei Sonne kann das alles viel einladender wirken. Der Wochenmarkt war allerdings sehr reichhaltig und lebhaft und so kaufte ich einen kleinen Sack voll Muscheln, viel mehr das Innenleben sehr kleiner Jakobsmuscheln, um heute Abend ein frugales Mahl zu zubereiten. Mit dem redseligen, zwischendurch singenden Fischverkäufer war ich zumindest einer Meinung, was Bavaria Monaco betrifft. Den genauen Wortlaut kann ich aus „lost in Translation“ leider nicht wiedergeben.

Zurück am Piazzale Roma und nach weiteren Einkäufen im COOP, erklärte mir ein freundlicher Mann an der Anlegestelle der 4.1, dass der Streik keineswegs vorbei sei, dass sie jetzt nur das machen würden, was sie wollten, mal kam ein Boot, mal fuhr eins nicht weiter, an genaue Zeiten hielt sich ohnehin kein einziges Vaporetto. Irgendwie bin ich dann doch zum S. Marco gelangt und zwar schneller als ich dachte, denn die 2 fuhr zwar, steuerte aber fast keine Anlegestelle an. Giudecca wurde rechts liegen gelassen an und das Boot hielt lediglich in Tronchetto und Zattere.

Vor dem Campanile stand keine lange Schlange, vor dem Ducale auch nicht, die Lokale schien sehr voll zu sein und ansonsten hatte sich im Auge des Hurrikans Markusplatz wenig getan, außer dass der Hurrikan viel schläfriger und abweisender erschien als an ganz normalen Sonnentagen. Das war auch gut so, denn Rummel haben sie in dieser Zone der Stadt reichlich und wahrscheinlich warten schon viele alteingesessene Venezianer auf den Winter, wenn die Touristen die Stadt wegen Nebel, Kälte und Regen meiden und sie endlich unter sich sein können. Vielleicht spielen sie dann Geister und haschen einander im Nebel, vielleicht aber machen sie endlich gar nichts und reden über Weihnachten und den Carnevale. Heute war übrigens der 11.11. davon sind wir in Venedig zumindest visuell performativ verschont geblieben.