Früher, als die Personenkraftwagen noch rein analog über die Asphaltstraßen rollten und bei einigen Modellen die notwendigen, technischen Voraussetzungen noch nicht ausgereift schienen, sagte man: „Wer sein Auto liebt, der schiebt“, wenn sich das Objekt der Fortbewegung schlicht und einfach weigerte, nach dem Zündprozess seinen Dienst zu vollziehen. Eine Batterie, das Zündschloss, die Lampen, der Scheibenwischer und der Zigarettenanzünder waren oft die einzigen elektrisch zu bezeichnenden Funktionen eines Autos vor den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts.
Bei einem Diesel hilft Schieben wenig und viele Probleme erweisen sich für die meisten Fahrzeughalter in der schönen neuen Welt der Computerisierung und elektronischen Spitzfindigkeiten oft als unlösbar. Ein dauerhaft leuchtendes Bremslicht kann kaum jemand mit normalen Werkzeug ausschalten, weil Sensoren, Halbleiter, Programmierung und Kontakte einen undurchdringbaren Dschungel des Scheiterns und der Frustrationen eröffnen, in dem es kein Durchkommen gibt. So auch bei unserem Skoda und weil wir das Problem dringend beheben mussten, war die Fahrt in eine Vertragswerkstatt unumgänglich. In Arles gibt es keine „Garage Skoda“ und die nächsten Ansprechpartner befinden sich in Avignon und Nimes. Beide Städte sind fast gleich weit entfernt. Weil wir Nimes noch nicht kannten und es sogar eine Autobahn dorthin gibt, fuhren wir in die Stadt im nahegelegenen Department Gard.
Die Skoda-Werkstatt befand sich wie in Frankreich üblich in einer „Zone industrielle et commerciale“ am Stadtrand neben Opel, Ford, VW und Audi und nachdem die Rezeptionsdamen uns an einen zuständigen Sachbearbeiter weitergeleitet hatten, es war inzwischen 11 Uhr morgens, mussten wir sehr schnell einsehen, dass diese von mir als „Kleinigkeit“ eingestufte Reparatur nicht im Handumdrehen erledigt werden konnte. Solch ein Unternehmen funktioniert nach einem perfekten Kommunikation- und Bearbeitungssystem und auch wenn der Kunde König sein soll, muss er sich den Vorschriften der Werkstatt unterwerfen. Die Kosten für die aufwendige Skoda-Präsentation wie für die vielen Mitarbeiter müssen schließlich erwirtschaftet werden und der Patron will am Ende des Tages seinen Profit in der Bilanz verzeichnet sehen. So unterliegt alles einer durchgetakteten und nach Kosten-Nutzen-Faktoren ausgerechneten Infrastruktur, die allen gerecht werden muss: Kunden, Mitarbeitern, Vertragspartner und Zulieferern. Der Service gestaltete sich aber erstaunlicherweise sehr kundenfreundlich. Der nette Sachbearbeiter wollte unbedingt Englisch sprechen und ich möglichst Französisch parlieren, am Ende verlief die Kommunikation zweisprachig. Meines Erachtens wäre der Reparaturprozess bei jeder kleinen Werkstatt ohne Komfort und Kommzurück in einer halben Stunde erledigt gewesen, aber in so einem Autohaus muss man sich den Vorgaben der Helfenden beugen und sich in die Warteschlange des Tagesgeschäftes einreihen. Nachdem alle wichtigen Daten erfasst worden waren, legte er uns einen Vertrag vor, auf dem unsere Angaben zum Auto und zu den Personen zu lesen waren wie die Forderungen der Werkstatt. 96 Euro Stundenlohn plus Ersatzteile und Computerdiagnose. Bei Autoteiledirekt kostet ein Bremslichtschalter zwischen 6 und 12 Euro und man schätzt, dass die Reparatur in einer halben Stunde erledigt ist. Da wir uns in der Warteschleife befanden und die Mittagspause anstand, mussten wir ca. 4-5 Stunden Wartezeit hinnehmen und uns irgendwie beschäftigen. Da ich von einer schnellen Notoperation des Autos ausgegangen, war, hatte ich meine Kameras zuhause gelassen und fühlte mich periodisch nackt und ich kam mir irgendwie unbrauchbar hilflos vor. Der Service erwies sich als zukunftsweisend kreativ, denn uns wurden zwei Tages-Busfahrscheine ausgehändigt. Da wir wussten, dass im Zentrum von Nimes die große römische Arena und das neue Museum für die frühgeschichtliche Entwicklung der Stadt unbedingt sehenswert sein mussten, setzten wir uns in den nächsten Bus und fuhren Richtung Centre Nimes.
Am Bahnhof Feuchères, der schon im 19. Jahrhundert gebaut und inzwischen für die schnellen TGV´s baulich und technisch angepasst wurde, stiegen wir aus und erreichten über die breite Avenue Feuchères zu Fuß das Herzstück der Innenstadt: die Altstadt mit allen Sehenswürdigkeit aus 2 Jahrtausenden. Schon am Bahnhof ärgerte ich mich erneut, keine Kamera mitgenommen zu haben und stieg zwangsläufig auf die fototechnischen Möglichkeiten des smartphones um, die ich ansonsten prinzipiell nur in Notfällen nutze. Nimes erwies sich von der ersten Gehminute als Glücksfall für zwangsgestrandete Warte- und Wartungsopfer.
Am Ende der Avenue eröffnet der Park Esplanade Charles de Gaulle mit seiner deltaförmigen Anlage den Eintritt in das von vielen Gassen und Plätzen durchzogene alte Viertel der Stadt, dessen Ursprünge in der Römerzeit liegen. Linker Hand sieht man sofort die Arena, in der noch heute während der Ferias Stierkämpfe ausgetragen werden. Übers Jahr werden in dem ovalen Bauwerk, ähnlich der Arena in Arles Rockkonzerte, Tennisevents oder andere Volksbelustigungsveranstaltungen aufgeführt. Die 21 Meter hohe Arkadenfassade umfasst einen Innenraum, in der ca. 20.000 Zuschauer Platz finden Aber der eigentliche Clou ist das unmittelbar gegenüber liegende archäologische Museum „Romanité“. Allein die horizontale, wellenförmige Fassade, aus einem festen Kunststoffgewebe, bestehend aus tausenden kleinen weißen Quadraten soll an das traditionelle Kleidungsstück der Römer, die Toga, erinnern. Das langgestreckte Gebäude wurde 2018 eröffnet und ein Besuch der schlichten, aber überlegt geplanten und beeindruckenden Innenarchitekturästhetik mit seinen vielschichtigen, interaktiven Erklärung- und Wissensvermittlungsformen ist eine angenehme Überraschung und zeigt, wie antike Geschichte mit modernsten technischen Präsentationsformen zu einem unvergesslichen Erlebnis werden kann, das den geistigen Horizont mühelos zu erweitern vermag.
Die Architektin Elizabeth de Portzamparc schuf mit diesem Museum und der direkten Verbindung zur Arena einen Spannungsbogen, der 2 Jahrtausende in gelungener Weise überbrückt. Von der Bronzezeit bis ins Mittelalter, wobei das Römische Erbe im Mittelpunkt der Ausstellungen steht, sieht man Amphoren, Epitaphe, Münzen, Büsten, Skulpturen und viele der gewöhnlichen Alltagsgegenstände aus der Römerzeit. Die Sonderausstellung Pompeji zeigt mit Filmen, Modellen und Animationen, wie jener schreckliche 24. August im Jahre 79 nach Christus verlaufen sein könnte und man stützt sich dabei streng wissenschaftlich auf alle verfügbaren Quellen aus der Geschichtsschreibung. Von der Dachterrasse genießt der Besucher einen weiten Blick über die Dächer der Stadt. Entlang des Boulevard Victor Hugo erreichen wir das Maison Carrée, einem der am besten erhaltenen römischen Tempel aus dem 1. Jahrhunderts n. Chr. Das rechteckige Gebäude verfügt noch über die original erhaltenen Säulen, wurde aber im Laufe der Zeit mehrmals umgebaut. Gegenüber schaut man auf das Carrée d´Art, vom Architekten Norman Foster geplant, das einen kleinen Ausschnitt der aktuell gepriesenen zeitgenössischen Kunst als Überblick bietet.
Wir sind dann langsam durch die Altstadt geschlendert, weil es zum einem ein sehr warmer Tag war und wir zum anderen noch Zeit genug hatten, um mit einem hoffentlich fahrtauglichen Auto nach Arles zurückzufahren. Eine weitere Erinnerung an die facettenreiche Geschichte der Stadt ist die Kathedrale Notre-Dame-et- Saint-Castor ursprünglich aus der romanischen Epoche, die aber in jeder weiteren kunsgeschichtlich konotierten Zeit mit den jeweiligen Stilelementen erweitert wurde.
Die Altstadt von Nimes zeigt deutlich das französische Flair und Art de Vivre, die für uns Deutsche immer ein Sehnsuchtsziel bleiben wird, denn wir können uns in unseren vom Krieg gebeutelten Städten noch so antrengen, die alten Gemäuer aus vielen Jahrhunderten, die weiträumigen Plätze, die Platanen und Palmen, die traditionellen und pittoresken Geschäftsfassaden, die teilweise noch so aussehen, als würde man eine unbewusste Zeitreise ins 18. und 19. Jahrhundert erleben und letztendlich die leger verlangsamte Art der Menschen (auch die der Touristen, die natürlich sofort zu erkennen sind, wir auch), ihre „faire des affaires“ zu verrichten, kann man unmöglich so nachahmen. Aber es gibt noch viel mehr in Nimes zu sehen, da wir aber zu wenig Zeit hatten, konnten wir folgende wichtigen Sehenswürdigkeiten nicht würdigen: Jardins de la Fontaine,Temple de Diane, Tour Magne, Porte Auguste, Porte de France, Les Halles, Castellum, Fort Vauban, das Geburtshaus von Alphonse Daudet oder den Temple de l´Oratoire.
Um fünf Uhr war das Auto von seiner vorübergehenden Erkrankung geheilt und mit 120 Euro Pflegekosten konnten wir endlich die Heimfahrt antreten.
W.N. 3./4. Juni 2019 Arles