Gestern habe ich den Palazzo Butera besucht, der unmittelbar an der sehr befahrenen Straße liegt, die entlang der Küste den Golf von Palermo umschließt und die das Cap Gallo wie das Capo Zafferano miteinander verbindet. Dort mündet die Ost-West-Achse der Innenstadt die Via Vittorio Emanuele an der Porta Felice und zum Meer hin liegt das Foro Italico und der Park „Della Salute Livia Morello“.
Der Palazzo Butera, einstmals eines der prächtigsten Paläste der Stadt Palermo, war lange geschlossen und begannmit der Zeit in seinen Innenräumen allmählich zu verfallen. 2016 kauften Massimo und Francesca Valsechi das riesengroße Gebäude und begannen mit der Finanzierung einer kompletten architektonischen Restaurierung, um das Gebäude museologisch wieder für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Butera liegt im historischen Kalsa-Viertel, dessen Namen arabischen Ursprungs ist. Mit Bekanntgabe, dass die Manifesta in Palermo stattfinden würde, gelang es den Initiatoren sehr schnell den Palazzo in das Gesamtausstellungskonzept einzubinden. Im 18. Jahrhundert wurde das langgestreckte Gebäude unter der Ägide des Architekten Giacomo Amato von der Familie Branciforte erbaut. 1737 fraß sich ein Brand durch das Gebäude und es entstanden Zerstörungen größeren Ausmaßes. Der Palast wurde wieder aufgebaut und restauriert und von den Malern Gioacchino Martorana und Gaspare Fumagalli mit beeindruckenden Deckengemälden und Wandverzierungen ausgestattet. Die monumentalen Dimensionen des Palazzo Butera blieben erhalten, die nur vom Königspalast Palermos übertroffen werden. Seit dem 19. Jahrhundert verlor das einst herrschaftliche Gebäudeensemble mehr und mehr seinen Nimbus und die Substanz der Mauern, Decken und Treppen fielen dem Zahn der Zeit zum Opfer.
Nach der Eröffnung der Manifesta 12 ist der Palast zumindest bis zum November wieder geöffnet und zeigt im obersten Stockwerk in den zahlreichen Räumlichkeiten unterschiedliche Installationen zu aktuellen Themen, die Palermo betreffen und die europäische Situation thematisieren.
Die brasilianische Künstlerin Maria Thereza Alves zum Beispiel bezieht sich in ihrer den Raum ausfüllenden Malerei auf die kulinarische Kultur der sizilianischen Landschaften, in denen die Kaktusfeigen, die mexikanischen Agave, Tomaten und Kartoffeln der Anden, die Jacaranda-Bäume und ceiba speciosa von Brasilien, einen neuen Synkretismus schaffen, den es immer wieder in der Geschichte Siziliens gab und auf den sich auch die historische Geschichte der Stadt bezieht.
Die Arbeiten des in Zürich geborene Künstler Uriel Orlow basieren auf multidisziplinärer Forschung: Videos, Filme, Fotografien, multimediale Installationen und Klangprojekte skizzieren ein Szenario, das die botanische Welt als Bühne politischer Dynamik und den Wert von Erinnerung in den Mittelpunkt stellt. In den Räumen des Palazzo Butera präsentiert Orlow eine Videoinstallation mit dem Titel Wishing Trees: drei sizilianische Bäume bewahren Erinnerungen an politische Ereignisse wie zum Beispiel den Konflikt mit der Mafia oder die Migrationbewegungen nach Sizilien und verbinden menschliche Geschichten mit der Natur.
In der künstlerischen Auseinandersetzung der Niederländerin Melanie Bonajo dreht sich alles um die verschiedenen Sichtweisen, die aus der Idee des Komforts geboren wurden. Mit ihren Videos, Performances und Installationen erforscht die Künstlerin, wie technologischer Fortschritt zur Entfremdung von der Natur führt. In dem Video Nacht Boden Trilogie (2014) werden Menschen aus westlichen Gesellschaften gezeigt, die nach neuen Ritualen und einer anderen Beziehung zur Natur suchen. Nicht selten führt ihre Suche zu alternativen Lebensstilen, manchmal zu antisozialen oder illegalen Dynamiken. Segmente halbdokumentarischen Charakters wechseln sich mit frei erfundenen Filmfragmenten ab, die den Betrachter nicht unberührt lassen.
W. Neisser – geändert am 6.8.2021